Das reformierte Berner Münster war im Spätmittelalter dem Hl. Vinzenz von Saragossa geweiht und ist die grösste und wichtigste spätmittelalterliche Kirche der Schweiz. Es wurde im Stil der Gotik erbaut und gehört zu jenen gotischen Kirchen, die erst im 19. Jahrhundert nach Aufkommen des Historismus vollendet werden konnten. Der Chor des Münsters birgt einen aus dem 15. Jahrhundert stammenden Glasmalereizyklus welcher gemeinsam mit jenem der ehemaligen Klosterkirche Königsfelden als bedeutendster der Schweiz gilt. Südlich der Kirche, zur Aare hin, liegt die Parkanlage der Münsterplattform.
Baugeschichte
Der Grundstein zu dem unter dem Patrozinium des Vinzenz von Saragossa stehenden Münster wurde 1421 gelegt. Zuvor hatte dort schon die Leutkirchegestanden, eine bei der zähringischen Stadtgründung um 1190 errichtete und 1276 neu erbaute romanische Kapelle. Das Münster wurde im Uhrzeigersinn um die alte Leutkirche herumgebaut. Das Münster wurde bis auf den oberen Teil des Turms aus Berner Sandstein erbaut.
Bauherren des Münsters waren die Stadt Bern und der Deutsche Orden. Die Kapellen und die Chorfenster wurden durch wohlhabende Berner Familien, Gesellschaften und Bruderschaften finanziert.[1][2]
Der erste Werkmeister beim Bau des neuen Münsters war Matthäus Ensinger. Nach süddeutschem Brauch begann er nur einen Westturm in der Breite des ganzen Schiffs. Während seine Vorbilder (Ulmer Münster, Freiburger Münster und Kathedrale Sankt Nikolaus in Freiburg i.Üe.) bloss das eine Mitteltor betonen, fasste Ensinger alle drei Westportale zu einem dreiteiligen, reich geschmückten Vorbau zusammen. Zwischen 1460 und 1480 schuf der Steinmetz Erhart Küng die Figuren der Hauptvorhalle sowie das weltbekannte Münsterportal. 1521 wurde der Turmbau auf der Höhe des unteren Achtecks wegen schwacher Fundamente unterbrochen. Erst 1893 erreichte der Turm seine volle Höhe von 100,6 Meter.
1529 wurden im Zuge der Reformation, alle Altäre und Heiligenbilder entfernt sowie Nebenbauten abgetragen.
Rudolf von Bern
Bereits in der Leutkirche wurde das Grab des Knaben Rudolf von Bern verehrt. Dieser soll am 17. April 1294 angeblich Opfer eines jüdischen Ritualmordes gewesen sein. Seine Gebeine wurden in den Kreuzaltar des neuen Münsters übertragen, beim Bildersturm im Jahre 1529 jedoch wieder aus dem Münster entfernt und ausserhalb der Kirche begraben.
Bekannte Münsterpfarrer
- 1548 bis 1565: Johannes Wäber (seit 1544 Helfer am Münster)
- 1777 bis 1803: Johann David Wyss
- 1860 bis 1873: Carl Albrecht Reinhold Baggesen (seit 1825 Hilfspfarrer am Münster)
- 1903 bis 1922: Wilhelm Hadorn
- 1946 bis 1968: Walter Lüthi
Bekannte Münsterbaumeister
- Matthäus Ensinger (1390–1463), ab 1420 erster Werkmeister des Münsters
- Erhart Küng (1420–1507), ab 1460 als Steinmetz tätig, ab 1483 Werkmeister
- Abraham Dünz (1630–1688), ab 1660 Werkmeister an der Bauhütte des Berner Münsters
- Samuel Jenner (1653-1720), ab 1688 Münsterwerkmeister
- Niklaus Sprüngli (1725–1802)
- Karl Indermühle (1877–1933), ab 1900 Leiter der Münsterbauhütte
- Peter Indermühle (1909–1986), 1933–1980 Münsterbaumeister und Leiter der Münsterbauhütte
- Tobias Indermühle (1941–2006), 1980–1998 Münsterbaumeister und Leiter der Münsterbauhütte
Beschreibung und Architektur
Das Münsterportal
Vorsichtig, keusch und wis (weise), wyl Ihr gewesen sind, gehnd herin, Freunde süss, zu Eurem Brütigam, Mariens Kind.
Rechts antworten die Törichten, händeringend, in fremdartiger Tracht:
Ach und Weh, dass wir nicht Ochle hand (haben), Gehnd uns zu kauffen, dass wir mit Euch ine gahnd.
Innenausstattung
Der Chor des Münsters enthält sechs grosse, vierbahnige, spätgotische Masswerkfenster mit Glasmalereien. Die bedeutendsten stammen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und sind Stiftungen bernischer Adels- und Notabelngeschlechter des späten Mittelalters. Entstanden sind sie zwischen 1441 und 1451. Drei Fenster, genauer gesagt das Hostienmühlenfenster, das Dreikönigsfenster und das Wurzel-Jesse-Fenster sind nahezu original erhalten geblieben. Zwei Fenster, das Passions- und das Zehntausend Ritter-Fenster, verloren mehr als die Hälfte ihrer ursprünglichen Scheiben. Diese erhaltenen Reste wurden später im Mittelfenster vereinigt und durch weitere Scheiben ergänzt. Hauptsächlich verantwortlich für diese Schäden sind zwei schwere Hagelstürme, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts Bern heimsuchten, wobei die Scheiben auf der Südseite deutlich mehr beschädigt wurden als auf der Nordseite. Ein weiteres Fenster, eine Stiftung der Familie von Scharnachtal, wurde bereits beim ersten schweren Hagelsturm komplett zerstört. 1868 ergänzte man das Ensemble durch zwei neue Fenster auf der Südseite. Die Scheiben des 19. Jahrhunderts ahmen die Komposition der älteren Fenster zwar nach, heben sich aber mit ihren kräftigen Farben und dem hohen Realismus der dargestellten Figuren deutlich von den mittelalterlichen ab.
Chorgestühl
Das Chorgestühl wurde zwischen 1522 und 1525 von Jacob Ruess und Heini Seewagen angefertigt. Das Bildprogramm zeigt an den Rückwänden Brustbilder der Apostel (Nordseite) sowie der Propheten (Südseite). Auf den Aussenwangen des Chorgestühls werden biblische Szenen dargestellt, während die Figuren, welche die Sitze schmücken, Menschen aus dem täglichen Leben zeigen.
Kapellen
Bis zur Reformation waren die privat oder bruderschaftlich finanzierten Kapellen mit Schranken von den Seitenschiffen abgetrennt. Die Stifterfamilien, Gesellschaften und Bruderschaften hielten in ihren Kapellen private Messen und Gottesdienste ab. Die Kapellen waren mit Altären, Wappen, Glasmalereien und Kunstwerken ausgestattet.[3]
Die zwölf Kapellen des Berner Münsters:
- Gerwern-Kapelle (seit 1999 Haupteingang und Infostelle)
- Schopfer-Kapelle (auch Michel-Kapelle)
- Bulzinger-Kapelle (später Metzgern-Kapelle)
- Krauchthal-Kapelle (später von-Erlach-Kapelle)
- Bubenberg-Kapelle (heute auch Steiger-Kapelle)
- Matter-Kapelle (auch von Roll-Kapelle)
- Brüggler-Kapelle
- Lombach-Kapelle (vor 1473 Portalhalle, bis 1500 Kapelle der Bruderschaft Unser Frauen Empfängnis)
- Diesbach-Kapelle
- Ringoltingen-Kapelle (auch Bonstetten-Kapelle)
- Schütz-Kapelle (auch Obere-Kirchtür-Kapelle)
- Erlach-Ligerz-Kapelle
Der ehemalige Allerseelenaltar
1505 stiftete der Stadtschreiber Thüring Fricker (ca. 1429 bis 1519) im Münster einen Allerseelenaltar für die Armen Seelen der Stadt mit dem Bild einer Geistermesse, das heute im Kunstmuseum Bern steht.
Orgeln
Heute gibt es im Berner Münster vier Orgeln: Die große Münster-Orgel auf der Westempore, die Schwalbennestorgel an der Südwand des Chores, sowie zwei kleine Forschungsorgeln.[5][6]
Münsterorgel
Die grosse Münsterorgel wurde 1729 von Gottlieb Leuw aus Bremgarten erbaut. Das Instrument hatte ursprünglich 38 Register. Im Laufe der Zeit wurde die sogenannte Grosse Orgel mehrfach umgebaut und erweitert, so bereits in den Jahren 1748 bis 1752 durch den Orgelbauer Victor Ferdinand Bossart auf 43 Register und in den Jahren 1845 bis 1849 durch Friedrich Haas auf 55 Register.[7] Der geschnitzte Orgelprospekt stammt von Johann Jakob Langhans (Orgelfront) und Michael Langhans (Bekrönung um 1730) sowie von Johann August Nahl dem Älteren (Zierwerk, um 1750).
Seit dem letzten Umbau in den Jahren 1998 bis 2000 verfügt die Orgel 71 klingende Register (über 5.400 Pfeifen) auf vier Manualwerken und Pedal.
Schwalbennest-Orgel
Im Jahre 1982 wurde an der Südwand des Chors eine neue Schwalbennestorgel eingebaut. An dieser Stelle hatte sich um das Jahr 1450 die erste Münsterorgel befunden; der Zugang ist im Mauerwerk noch sichtbar. Die heutige Schwalbennestorgel ist in Grösse, Gestalt und zahlreichen Einzelheiten der ersten Schwalbennestorgel nachempfunden. Das Instrument hat 14 Register auf zwei Manualwerken und Pedal. Die Spiel- und Registertrakturen sind mechanisch. Das Instrument ist modifiziert mitteltönig gestimmt (Stimmtonhöhe 440 Hz).
Turm
Der Turm wurde 1521 auf der Höhe des untern Achtecks (knapp 61 Meter) unterbrochen und erst von 1889 bis 1893 zur endgültigen Höhe von gut 100 Metern vollendet, was ihn zum höchsten Kirchturm der Schweiz macht. Dabei wurde nicht der Berner Sandstein, sondern der verwitterungsbeständigere Obernkirchener Sandstein aus Niedersachsen in Deutschland verwendet.
222 steinerne Stufen führen spiralförmig zur ersten Turmgalerie in 46 Meter Höhe und weitere 90 Stufen zur zweiten Galerie auf 64 Meter, die dem Publikum ebenfalls zugänglich ist. Es eröffnet sich eine prachtvolle Aussicht über die Altstadt, die Aareschlaufe, die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau im Südosten und die Juraketten im Nordwesten.
Glocken
Die neun Münsterglocken sind über zwei Geschosse verteilt und stellen das tontiefste Geläut der Schweiz, nach dem der Stiftskirche St. Gallen, dar. Die drei Zeichenglöcklein hängen auf beide Glockenstühle verteilt, die beiden Feuerglocken sind in den Kellerräumen zwischengelagert. Die Glocken 2, 3, 4 und 5 haben neue Klöppel erhalten.
Die Grosse Glocke, in Bronze gegossen 1611 von Abraham Zender in Bern, ist die grösste Glocke der Schweiz. Mit einem Gewicht von 9,9 Tonnen ist sie auch die schwerste Glocke der Schweiz und die schwerste historische Glocke einer evangelischen Kirche weltweit. Sie ersetzte zwei gesprungene Vorgängerinnen der Jahre 1506 und 1516. Ihre Verzierung zeigt Motive der Renaissance – Wappen, tanzende Bären und Masken mit herausgestreckten Zungen. Die lateinische Inschrift zeugt von den Konflikten der Reformation in der Schweiz und lautet übersetzt:[11]
- «Einst diente ich nichtigen Götterkulten, wie dies blinder Aberglaube bestimmte. Nun aber heissen mich wahrer Glaube, Frömmigkeit und Religion dienen, Christus, Deiner Ehre allein.»
Nr. | Name | Gussjahr | Giesser | Durch- messer (mm) |
Masse (kg) |
Schlagton (HT–1/16) |
Glocken- stuhl |
1 | Grosse Glocke | 1611 | Abraham Zender & Peter Füssli | 2470 | 9940 | e0 +3 | unten, Mitte |
2 | Mittagsglocke | 1583 | Franz Sermund | 2120 | 6395 | gis0 ±0 | oben, Mitte |
3 | Predigtglocke | 1883 | Gebr. Rüetschi | 1682 | 3322 | h0 +0,5 | oben, Nord |
4 | Armesünderglocke | 1734 | Samuel Steimer, Emanuel Zender & Johannes Rihs | 1510 | 2300 | cis1 +4 | unten, Süd |
5 | Betglocke | 1883 | Gebr. Rüetschi | 1265 | 1428 | e1 +3 | oben, Südwest |
6 | Hugo- oder Silberglocke | 14. Jh. | unbekannt | 1060 | 770 | gis1 −2 | oben, Südost |
7 | Burgerglocke | 1403 | Nikolaus & Johannes Kupferschmied | 1725 | 3850 | cis1 +7 | unten, Nord |
I |
östliche Feuerglocke | 1503 | (Hans Zender) | 620 | 275 | fis2 −5 | – |
II |
westliche Feuerglocke | 13. Jh. | unbekannt | 666 | 286 | g2 −10 | – |
III |
1. Zeichenglöcklein | 1821 | Emanuel Meley | 238 | 9 | gis3 | unten, Nord |
IV |
2. Zeichenglöcklein | unbekannt | unbekannt | 192 | um h3 | oben, Nord | |
V |
3. Zeichenglöcklein | 1780 | unbekannt | 147 | um dis4 | oben, Süd |
Hauptmaße
- Gesamtlänge: 86,72 m
- Gesamtbreite: 37,55 m
- Gewölbehöhe: 20,70 m
- Turmhöhe Viereck: 46,00 m
- Turmhöhe gesamt: 100,60 m
Trägerschaft
Kein Gebäude im Kanton Bern erfährt dermassen viel Zuwendung wie das zwischen 1421 und 1590 gebaute Berner Münster. Allein 16 Fachleute der Münsterbauhütte stellen derzeit den Unterhalt der Sandsteinfassade sicher. Darin sind die Dächer von Mittel- und Seitenschiffen sowie Glasscheiben, Glocken und weitere Inneneinrichtungen nicht eingeschlossen. Seit 1881 werden die Arbeiten finanziell durch die Einwohnergemeinde Bern, die Burgergemeinde Bern und die reformierte Gesamtkirchgemeinde Bern getragen, die sich zum Münsterbauverein, heute Berner Münster-Stiftung, zusammenfanden. Schon damals wurden die Zuständigkeiten vertraglich genau festgehalten: Während die Münster-Stiftung die Fassade unterhält, sorgt die Kirchgemeinde für die Instandstellung des Innern und der Glasmalereien. Die Stadt ihrerseits ist für den Unterhalt der Dächer zuständig. Die Stiftung erhält einen jährlichen Beitrag aus dem Lotteriefonds des Kantons Bern sowie Zuwendungen des Bundes.
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